DON‘T LOOK BACK IN ANGER!
Für eine alternative, antifaschistische Kultur!
Aufhalten, blockieren, verhindern…
… von Naziaufmärschen ist in Sachsen nicht erwünscht. Antifaschismus wird durch den sächsischen Innenminister als Teil des Problems bezeichnet, obwohl die Offenlegung einer rassistischen Mordserie, begangen durch eine bundesweit vernetzte Gruppe Neonazis, dessen Notwendigkeit unterstreicht.
Staatliche Anti-Extremismus-Programme, der Verfassungsschutz in Bildungseinrichtungen, inhaltslose Menschenketten und ein Wettlauf um das würdigere Gedenken an „deutsche Opfer“ sollen richten, was der Ordnung im Staate bedrohlich erscheint. Gleichzeitig werden Nazis, wie im vergangenen Jahr in Chemnitz, zum Propagieren des Nationalsozialismus durch Stadtzentren eskortiert und dabei friedliche Gegendemonstrant_innen und Blockierende durch die Ordnungskräfte von den Straßen geprügelt.
Neonazis muss trotz staatlicher Repression der öffentliche Raum streitig gemacht werden. Konsequenten Antifaschismus gilt es am 5. März auf die Straße zu tragen.
Willkommen in der Wirklichkeit
Seit Jahren demonstrieren am 05. März mehrere hundert Nazis von NPD und Freiem Netz durch Chemnitz, um im Rahmen des allgemeinen Gedenkens an die Bombardierung der Stadt 1945 den Nationalsozialismus zu verherrlichen und ihre geschichtsrevisionistischen, antisemitischen und rassistischen Inhalte in die Häuserschluchten zu skandieren.
Eine erfolgreiche Verhinderung dieses Aufmarsches, wie es beispielsweise in Dresden in den letzten zwei Jahren geschah, konnte bisher nicht realisiert werden. In Chemnitz sieht sich die Zivilgesellschaft aus Parteien, Verbände, Initiativen und der Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig an der Spitze, mit erheblichen inhaltlichen und praktischen Mobilisierungsproblemen konfrontiert. Einmal im Jahr soll die Stadtgesellschaft sich gegen Nazis positionieren und möglichst umfangreich demokratisches Engagement zeigen. Untergraben wird dieser Anspruch durch die permanente Ignoranz gegenüber etablierten nationalsozialistischen Strukturen in der Stadt, durch weit über die Naziszene hinaus verbreitete rassistische und autoritäre Einstellungen und nicht zuletzt durch die polizeiliche Repressionen gegen Antifaschist_innen im Rahmen der Proteste gegen den Aufmarsch.
Dresden dient bei den Stadt-Vorderen als Vorbild für erfolgreiche Gegenaktivitäten, aber die notwendigen Voraussetzungen werden ignoriert. Die mangelnde Bereitschaft sich über Lagergrenzen hinweg zu verständigen, der Rückzug auf symbolische Aktionen weit ab der Naziveranstaltungen, kritikwürdige Gedenkfeierlichkeiten und eine aggressive “Ordnungspolitik” verhindern Jahr für Jahr die Verhinderung des Aufmarsches.
Während die Gedenkkundgebung der Neonazis 2008 trotz Anwesenheit der Polizei in völligem Chaos und massiven Übergriffen der „Trauernden“ auf vermeintliche Gegendemonstrant_innen versank, konnte der Demonstrationszug ein Jahr später direkt vor einem bereits mehrfach angegriffenen alternativen Zentrum in der Innenstadt eine Zwischenkundgebung abhalten. 2010 zog der bis dahin größte Neonaziaufmarsch in Chemnitz mit Fackeln nahezu unbehelligt durch die nördliche Innenstadt. Im letzten Jahr wurden friedliche Demonstrant_innen bei symbolischen Blockaden durch die Polizei in einem so enorm hohen Maß von der Straße geprügelt, das dies selbst in Chemnitz eine Diskussion über die Art und Weise des Einsatzes und zahlreiche Strafanzeigen gegen Beamte zur Folge hatte. Zu einer Störung des Ablaufs der Nazidemonstration kam es hingegen nicht.
Betagter Lokalpatriotismus
Während viele Chemnitzer_innen sich 365 Tage im Jahr für oder gegen überhaupt nichts aussprechen, erregen satirische Schmäh-Artikel überregionaler Tageszeitungen ungewohnt viel Aufsehen. Wird Chemnitz hier doch u.a. in eine Reihe mit Orten, wie Tschernobyl und Stalingrad im Jahr 1943, gestellt. Ein schwieriger Vergleich, da Stalingrad 1943, ganz im Gegenteil zu Chemnitz, damals Nazi-frei wurde. Missfallen bei einem größeren Teil der Einwohner_innen erregt das nicht.
Neben jahrelanger Geldquelle und observiertem Unterschlupf für den NSU ist Chemnitz seit Jahren ein Zentrum der organisierten Neonaziszene und Jugendkultur. Die Nachfrage nach entsprechenden Devotionalien wird von nicht weniger als vier Geschäften und bundesweit relevanten Versandhandeln bedient. Darunter verdient das Geschäft „PC Records“ besondere Beachtung. Betreiber Yves Rahmel ist nicht nur Vorreiter in Sachen neonazistischer Musikproduktion und Vertrieb, er ist auch langjähriger Eventveranstalter neonazistischer Konzerte im Dunstkreis der Chemnitz-Zwickauer „Terrorzelle” und Produzent einer CD, in welcher die neonazistischen Morde noch vor ihrer Entdeckung als solche gefeiert wurden.
Gleichzeitig hat Rahmel als Neonazi-Szenegröße ein Haus in Chemnitz-Markersdorf erworben, welches im November als neonazistisches Veranstaltungs- und Bildungszentrum mit überregionaler Prominenz eröffnet wurde. Neben Sammel- und Veranstaltungspunkt für die Chemnitzer Kameradschaftsszene, soll auch ein Parteibüro von Holger Apfel, dem Bundesvorsitzenden der NPD, entstehen.
Chemnitz als Heimstätte bundesweit bedeutender Neonazis und deren Infrastruktur, als Wohn- und Wirkungsstätte neonazistischer Terrorist_innen, als Stadt wider alternativer Bildungs- und Kulturangebote – ein ruhiges Plätzchen für Lokalpatriotismus und ein passendes Zentrum für die “wissenschaftliche”, extremismustheoretische Untermauerung der Landespolitik.
Sächsische Dilemmademokratie
20 Jahre CDU-Regierung, mit Heimatdünkel, Anti-“Linkstrend”-Initiativen, neoliberalemEthos und autoritärem Demokratieverständnis haben ihre Spuren hinterlassen. Der Reflex zum Ordnungsruf liegt nahe, das sächsische Versammlungsgesetz ist nur ein weiteres unrühmliches Beispiel zur Beschneidung von Freiheitsrechten. Neben bis dahin unbekannten und rechtlich umstrittenen Überwachungs- und Exekutivmaßnahmen rund um die Proteste gegen den Naziaufmarsch 2011 wird alles, was auch nur den Anschein hat, den Begriff Antifaschismus positiv zu besetzen, verfolgt oder verleumdet. Selbst ein Verbot des Logos der Antifaschistischen Aktion als verfassungsfeindliches Kennzeichen wird in Sachsen in Betracht gezogen. Blockierende aus Dresden wurden für ihr Engagement zügig abgeurteilt, um pünktlich zu den diesjährigen Dresdner Gedenkfeierlichkeiten den extremen Popanz präsentieren zu können. Verfahren gegen Landtagsabgeordnete wurden gemeinsam mit den Stimmen der NPD auf den Weg gebracht. Bundestagsabgeordneten lässt die sächsische Staatsanwaltschaft auf Geheiß der NPD die Immunität entziehen. Schwebende Verfahren, wie gegen die verbotene Kameradschaft Sturm 34, verdeutlichen die Intensität des Verfolgungsdrucks auf dem rechten Auge, während Initiativen, welche sich gegen Neonazis zur Wehr setzen, öffentlich abgewertet und behindert werden.
Die politische Auseinandersetzung in Sachsen und damit auch in Chemnitz, hat eine Kultur hervor gebracht, welche entweder delegiert oder vom Rand aus beobachtet. Dabei fungieren sie wahlweise als Jubel- oder als Gedenksachsen, hauptsächlich vom Zaun aus, mit dem gebotenem Abstand.
In Bezug auf Blockaden von Neonazidemonstrationen befinden sich die Aktivist_innen daher hierzulande nicht nur in einem rechtlichem Dilemma. Aufrufende und Unterstützer_innen werden propagandistisch als potentielle Straftäter_innen diffamiert und juristisch verfolgt. Um wirkungsvolle Aktionen gegen Neonaziaufmärsche durchzuführen, sind solidarisches Handeln und das Erreichen einer kritischen Masse erforderlich. Einzelne sind andernfalls nur Spielball der Ordnungskräfte und öffentlich zu verleumdende “Straftäter Links”.
Dass der letztjährige Neonaziaufmarsch in Chemnitz nur gegen entschlossene Blockadeversuche mehrerer hundert Antifaschist_innen durchgesetzt werden konnte, ist ein Grundstein, auf dem aufgebaut werden muss. Der sächsischen Lethargie sind antifaschistische Aktivitäten entgegen zu stellen, welche sich dem Ruf nach Ruhe und Ordnung entziehen und den Nazis keinen Raum überlassen. Eine breite antifaschistische und autonome Mobilisierung in und um Chemnitz ist daher mehr als notwendig und das nicht nur am 5. März.
Gehaltvoll intervenieren!
Unser Ziel ist eine intensive Auseinandersetzung mit Neonazis in Chemnitz und die Verhinderung jeglicher neonazistischer Veranstaltungen. Dabei kommt alternativen Kulturangeboten eine besondere Bedeutung zu, sind diese in der Lage, antifaschistische und kosmopolitische Mindeststandards zu vermitteln. Ihre Funktion ist daher nicht eine bloße Erweiterung des Angebotes für Nischenkonsument_innen, sondern die einer kritischen Gegenkultur, welche sich mit emanzipatorischen Inhalten und Praktiken einmischt. Wem an einer Änderung der hiesigen Zustände gelegen ist, die/der muss gegen die neonazistischen Aufmärsche und öffentlichen Geschichtsrevisionismus aktiv werden.
Welchen Platz Neonazis am 5. März einnehmen, entscheidet sich an der Entschlossenheit und Solidarität der Menschen, welche ihnen den öffentlichen Raum für ihre politischen Zwecke ganz und gar nehmen und dies so, dass weitere Versuche unattraktiv werden.
Unser Ziel ist die lautstarke und massenhafte Vermittlung antifaschistischer Praxis als gesellschaftlicher Gegenwehr, sowie die Schaffung von Verhältnissen, in denen es als unverhältnismäßig angesehen wird, Naziaufmärsche mit Hilfe von Polizeigewalt durchzusetzen!
Den Nazis gemeinsam und entschlossen entgegentreten – jetzt erst recht!
5. März 2012 um 16 Uhr – Bahnhofsvorplatz!